Ich bin in den Schuldienst eingetreten, als in den Fremdsprachen - damit in meinem ersten Fach, Englisch - der situative Unterricht in Mode gekommen war: kein deutsches Wort durfte fallen, Grammatik war verpönt, das Klassenzimmer wurde zur Bühne. Natürliche Redeanlässe schaffen, lautete die Devise.
Für das Schriftliche hieß das: Redeanlässe zeichnen!
So sind Dutzende, Hunderte von cartoonartigen, nicht selten mit Spruchblasen versehene Figuren entstanden, meist klein auf der linken Seite eines Woksheets, oder in Groß auf den gerade aufkommenden Overheadfolien.
Die Riesenchance für mich, mein schlummerndes grafisches Talent zu wecken und - in nächtelangem künstlerischen Ringen - weiter zu entwickeln!
Eine Kostprobe:
Zum 'Grafischen' im doppelten Sinne gehört auch die von mir begründete Kunstform der Typionografie, ein Crossover zwischen Grafik und Lyrik, zwischen Text und Objekt.
Das einzig verwirklichte Beispiel dieser Gattung besteht aus einem Satz handgroßer, aber verschieden breiter Holzlettern, wie sie zum Plakatdruck benutzt wurden, und drei breitformatigen, in je vier Zeilen strukturierten, setzkastenartigen Wandtafeln.
Die oberste Tafel ist gut mit Holzlettern bestückt, so dass stellenweise spiegelschriftliche Wörter gelesen oder erraten werden können. Nach unten zu dünnt der Letternbesatz aus; zunehmen tun hingegen Leerstellen, die offenbar mit Buchstaben einer ganz bestimmten Breite ausgefüllt sein wollen. Durch Versetzen der Lettern aus den oberen, bekannten Textteilen quer über das Objekt bis an Positionen, wo sie genau passen, lässt sich in einem dynamischen Prozess die Botschaft ermitteln. Wandernde Lettern, wandernde Grafik, wandernder Sinn: Typionographie in Action - wenn der Betrachter die Geduld aufbringt mitzuspielen.
Die Typionografie ist in meinem Besitz geblieben, vielbestaunt und vielgelobt, aber bisher ungelöst.