(aus: Schule : in echt →) Dienstag, den 11. Dezember
Es ist eine Schande! Die PISA-Studie ist raus, seit Wochen, mit dem bekannten niederschmetternden Ergebnis, – und was steht dazu in diesem Tagebuch? Nichts, kein wütender Protest, kein Haareraufen, kein abwartender Methodenzweifel, keine Selbstbezichtigung, keine Zynismen, keine klammheimliche Freude, keine klarsichtige Analyse, keine knallharte Therapie. Nicht einmal ein hilfloses Achselzucken. Letzteres sei hier nachgeholt. Tagebuch eines Unpolitischen.
Vor den Schülern habe ich PISA bezeichnenderweise im Englischunterricht angesprochen.
„We are bottom, did you know that?“
„We are not as good as we thought we were.“
„It’s a catastrophe. And who do you think is to blame?“
Ahnungslose Gesichter, was sonst?
„I’ll tell you who.“ Lange Pause. „The minister of education. The teachers. And you.“
Hübsch ausgewogen, gell? Seltsamerweise, und das zeigt mir nur, wie abgewrackt ich sein kann, lege ich heimlich oder in weniger entspannten Unterrichtssituationen, wenn ich mir nicht anders zu helfen weiß, das Hauptgewicht auf das „And you“. Die Schüler sind schuld.
Die Ministerin groß zu belasten langweilt mich. Die Leserbriefspalten sind voll davon. Sparkurs der Landesregierung, überfüllte Klassen, schleichende Mehrbelastung der Lehrer, Vergreisung der Kollegien, abbröckelnde Materialversorgung. Hammerhart das alles, dazu die Sonntagsreden. Aber bekannt, bekannt!
Die Lehrer? Was kann man uns vorwerfen? Boring lessons, habe ich den Schülern gesagt, just to please them. Ich weiß, dass die Faszination des Lernens in der Schule nicht unbedingt zu Hause ist, aber ich weiß auch, dass Magier nicht aus dem Hut zu ziehen, dass Entertainer nicht zu unterhalten, dass die Spaßvögel unter uns rare birds sind. Dennoch sind wir doch wohl Durchschnitt und machen unseren Job. Kämen folglich als Sündenböcke für nur durchschnittliche Leistungen in Frage. Aber wir stehen in der Skala ganz unten.
Und deshalb, bitteschön, die Schüler! Wenige Tage später, Silvana war dabei, spiele ich (im Anschluss an ‚Lucky Guy Peter’, Adjective vs. Adverb) den ollen Rod-Stewart-Titel ‚Some Guys Have All the Luck’ vor, fünfzehn Minuten vorm Gong.
„Take out pencil and paper, and write down words and bits you understand.“
Daraus sollte an der Tafel eine Art loses Bedeutungscluster entstehen, am Folgetag im gedruckten Songtext nachzuvollziehen. Was war? Dreimal musste ich anfangen, böse Blicke werfen. Unruhe, Räkeln, Rascheln, Packen. Wortausbeute null.
„Nichts verstanden!“
Da bin ich ausgeflippt. „Ihr versteht nichts, ihr wisst nichts, ihr könnt nichts. Welchen Schluss zieht ihr da-raus? Brüstet euch halbwegs damit, greift schon mal zum Schal, denn an der Bushaltestelle könnte es kalt werden. Anstatt die Ohren aufzureißen, anstatt euch mal ein kleines bisschen Mühe zu geben! Wundert mich gar nicht, dass ihr bottom seid! Stühle hoch, Tafel wischen, Ordnungsdienst. Raus mit euch!“
Verwöhnte Generation! Jegliche Anstrengung ist dringend zu vermeiden. Arbeit eine Zumutung. Disziplin ein garstiges Fremdwort. Spaß, Spaß, Spaß!
Silvana, mit ihren zweimal dreizehn Jahren, hat versucht zu retten, was zu retten ist. Die technische Qualität ins Feld geführt, Uraltkassette. Uraltrecorder.
„Und: es ist ja auch nicht ihre Musik.“
Das weiß ich besser. In einer Woche werden sie mitsingen, und wie ich auf den kleinen sehnsüchtigen Jauler warten.
„Yoohiyoo Yoohi Yoohiyoo.“
Was mich bei der ganzen PISA-Studie etwas verstört, ist die Tatsache, dass wir als Gesamtschule eigentlich mit Finnland, Korea usw. gleichauf liegen müssten, vielleicht sogar tatsächlich liegen, denn alle Topscorer sind comprehensive, während der Bodensatz dreigliedrig ist. Am Ende ist meine kleine Aufregung gegenstandslos, mein langes Schweigen Bescheidenheit und was der Ministerin vorschwebt, nämlich umgehende Zwangsfortbildung, für alle nur nicht uns Gesamtschullehrer gedacht.